22. Mai 2002

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Nachruf auf den Maler Amdo Jampa

Der tibetische Maler Jampa Tseten, dem Volk auch als Amdo Jampa geläufig, starb am 28. März im Alter von 91 Jahren in Lhasa. Amdo Jampa war insbesondere für seinen lebendigen photo-realistischen Stil bekannt, und viele berühmte Portraits des Dalai Lama und des Panchen Lama sind ihm zu verdanken. In Kreis Chentsa (chin. Jianza) in Qinghai (das den größten Teil der tibetischen Provinz Amdo umfaßt) geboren, war er einer der ersten tibetischen Künstler, der an einer chinesischen Kunstakademie studierte. Er war außerdem Schüler des berühmten tibetischen Künstlers und Gelehrten Gendun Choephel.

Amdo Jampas Werk wurde sowohl vom Dalai Lama als auch später von den Chinesen geschätzt. Allerdings war er in der tibetischen Exilgemeinde auch Objekt einer gewissen Kontroverse. Gonkar Gyatso, ein tibetischer Künstler aus Lhasa, der nun in Großbritannien ansässig ist und Amdo Jampa kannte, schätzt ihn nach Gendun Choephel als den bedeutendsten tibetischen Künstler der Moderne und kommentiert: "Er erhielt seine Ausbildung zur selben Zeit wie mehrere andere begabte Thangka-Maler in den 50er Jahren, aber er versuchte, etwas anderes zu machen. Er war sehr tapfer und hatte auch Glück, insofern als er für das Werk, das er nun schuf, die Unterstützung des Dalai Lama hatte".

Amdo Jampa begann bereits als Teenager, als er in das Drepung Kloster in Lhasa eintrat, die traditionelle Kunst des Thangka-Malens zu erlernen. 1954 verließ er das Kloster, um den Dalai Lama nach Peking zu begleiten; anschließend blieb er dort bei dem chinesischen Lehrer Li Zhongjing, der ihn in traditioneller chinesischer Malkunst sowie in westlichen Maltechniken unterrichtete. So heißt es in einem Artikel des tibetischen Literaturjournals Drangchar: "Amdo Jampa hatte die Techniken aller drei Traditionen, nämlich der tibetischen, chinesischen und westlichen, gemeistert; seine Gemälde waren von einer außergewöhnlichen Individualität und dank der Verwendung von Schatten einem dreidimensionalen Effekt gekennzeichnet" (Ausgabe 4, 1993).

Nach Lhasa zurückgekehrt, erhielt Amdo Jampa den Auftrag, einen neuen Palast (Tagtu Mingyur Podrang) auszumalen, der 1956 im Norbulingka, der Sommerresidenz des Dalai Lama, fertiggestellt wurde. Bei seinen Wandmalereien in dem Sommerpalast verschmolz er den traditionellen tibetischen Malstil mit moderner Portrait-Darstellung. Während sein künstlerischer Stil im großen und ganzen eindeutig traditionell war, konnte man die Figuren des Dalai Lama und anderer Persönlichkeiten leicht erkennen, was damals eine revolutionäre Neuerung bedeutete. Als der 10. Panchen Lama ihn beauftragte, ein Portrait von sich anzufertigen, tat er dies in einem ähnlich realistischen Stil. Tashi Tsering, ein tibetischer Autor und Gründer des Amnye Machen Instituts in Dharamsala, der Amdo Jampa kannte, meinte: "Es war für viele Leute umwerfend, zum ersten Mal lebensnahe Bilder solcher Gestalten zu sehen". Herkömmlicherweise wurden religiöse Oberhäupter in hoch stilisierter Weise dargestellt, was ihnen einen überweltlichen Anschein verlieh. Und um Gonkar Gyatso zu zitieren: "Die Leute waren erstaunt und bewunderten die von ihm verwendeten Techniken, aber es gab auch mancherlei Kontroversen, besonders weil Seine Heiligkeit der Dalai Lama auf seinen Kunstwerken so menschlich aussah".

In den achtziger Jahren reiste Amdo Jampa nach Indien, wo er im Auftrag des Dalai Lama sakrale Bauten ausmalte. Als er Ende des Jahrzehnts nach Tibet zurückkehrte, ließ er sich in der Gegend von Lhasa nieder. Dem tibetischen Magazin Drangchar zufolge begleitete er verschiedene Ämter, wie Vorsitzender der Vereinigung für Schöne Künste Tibets und Hauptverantwortlicher des zentralen Exekutivkomitees des Museums für Kunstgegenstände der TAR. Er eröffnete auch eine Kunstschule in dem Dorf Shol am Fuße des Potala Palastes. Heather Stoddard, eine Expertin für tibetische Kunst, die ihn kannte, weiß zu berichten: "Er lebte damals in sehr bescheidenen Verhältnissen inmitten der Altstadt, genauso wie jeder andere gewöhnliche Tibeter. Er schien keine großen Ambitionen zu haben, wahrscheinlich hätte er bei den kommunistischen Behörden ein Star werden können, aber solches lag ihm fern".

Amdo Jampas Stil schloß im buddhistischen Kontext der Ehrerbietung an religiöse Lehrmeister moderne Elemente wie naturgetreue Darstellung ein. Sein Werk weist Einflüsse verschiedenster Art auf. So erzählt Gonkar Gyatso: "Als ich ihn einmal in seinem Studio in Lhasa besuchte, studierte er gerade ein Buch über die italienische religiöse Kunst des 15. Jahrhunderts. Einige seiner Bilder waren deutlich von Malern wie Carpaccio beeinflußt, der lebendige, üppige Farben verwendete und mit Schatten arbeitete, so daß seine Werke einen narrativen Stil bekamen".

Jamyang Norbu, ein tibetischer Schriftsteller und Mitbegründer des Amnye Machen Instituts in Dharamsala, betont, daß Amdo Jampa besonders von seinem tibetischen Lehrer Gendun Choephel beeinflußt war. Dieser war viel in Indien herumgekommen und nicht nur mit der indischen buddhistischen und der Hindu Kunst vertraut, sondern kannte sich auch in den verschiedenen europäischen Traditionen aus, wie seine dynamischen Skizzen von Nackten und Tänzern reflektieren. Im Unterschied zu seinem Lehrer waren die künstlerischen Mittel, die Amdo Jampa zur Verfügung standen, wegen der politischen Verhältnisse ziemlich beschränkt. "Amdo Jampa besaß wegen der Umstände in den vergangenen 50 Jahren in Tibet einfach nicht dieselbe Tiefe des kulturellen und intellektuellen Backgrounds wie Gendun Choephel", fuhr Jamyang Norbu fort. "Aber man kann eine echte Kontinuität in seinem Werk feststellen. In den 40er und 50er Jahren malte er unentwegt, er durchlebte den Volksaufstand in Lhasa 1959 und die Kulturrevolution und die Ära nach Deng, und schaffte es immer, seine Kunst irgendwie aufrechtzuerhalten, wobei er natürlich wie viele andere tibetische Künstler in den 10 Jahren der Kulturrevolution nichts hervorgebracht zu haben scheint. Als Hofmaler des Dalai Lama muß er Glück gehabt haben, daß ihm damals die Finger nicht zerschmettert wurden".

Amdo Jampas Kunst war weit verbreitet in Tibet und beeinflußte deutlich die zeitgenössische Malerei des Landes. Um Gonkar Gyatso zu zitieren: "Ehe die Chinesen 1996 Dalai Lama Bilder verboten, sah ich in vielen Klöstern in ganz Tibet große Dalai Lama Bilder im Hauptschrein, alle im Stil von Amdo Jampas berühmtem Gemälde des Dalai Lama".

Die moderne Künstlerin Elke Hessel, die mit tibetischen Künstlern in Lhasa arbeitete, erwähnt jedoch, daß die heutigen Maler in Tibet nicht mehr in dem Maße von Amdo Jampas Werk beeinflußt sind: "Einige von Amdo Jampas Schülern, die Thangka Maler sind, fügten ihrem Stil einige moderne Elemente wie die Verwendung von Licht und Schatten hinzu. Wenn sie das Portrait eines zeitgenössischen Lehrmeisters malen, dann stellen sie Gesicht und Hände naturgetreu dar. Aber sie versuchen auch, moderne buddhistische Gemälde zu produzieren, zumeist mit Ölfarben auf Leinwand, bei denen sie traditionelle Elemente mit Phantasie und Surrealismus vermischen. Soweit ich weiß, übt Amdo Jampa keinen wesentlichen Einfluß auf die gegenwärtige Kunstszene in Lhasa aus. Die meisten der jungen tibetischen Künstler studierten an chinesischen Kunstakademien, die sehr aufgeschlossen und modern sind, oder an der Fakultät für schöne Künste der Tibet Universität. Sie interessieren sich mehr für westliche Künstler wie Andy Warhol, David Hockney oder Baselitz".

Zu gewissen Zeiten war Amdo Jampa in den Augen einiger Exiltibeter eine kontroverse Gestalt. So wurde etwa sein Werk "Die Drei Könige" für den Namgyal Tempel in Dharamsala anfänglich von den Auftraggebern im Exil zurückgewiesen, aber schließlich fand es doch noch einen ehrenwerten Platz in dem benachbarten Tsuglakhang Zentraltempel. In ihrem Buch "In the Image of Tibet: Tibetan Painting after 1959" (Reaktion Books, 1999) bemerkt Clare Harris, eine Expertin für tibetische Kunst, zu dieser Episode: "In Dharamsala kann jegliche Berührung, die jemand mit dem maoistischen China hatte, als verdächtig gelten, und eine Abweichung von den traditionellen Stilrichtungen kann als eine Art von Kulturverrat angesehen werden. Jampas Fehler war, daß er in China studiert hatte und außerdem in einem Stil malte, der von der Exilgemeinde nicht als den ihr in Erinnerung gebliebenen Traditionen in Tibet zugehörig empfunden wurde. Obwohl er dem sozialistischen System in Peking ausgesetzt war, wurde Jampa kein Anhänger seines Credos. Nach Mao Zedong und seinen Gefolgsleuten soll der sozialistische Realismus ein Mittel sein, um Kunst für das Volk, durch das Volk und über das Volk zu schaffen, und letztendlich auch, um das Volk zu zwingen. Aber Jampa Tseten war ein realistischer Maler, ohne jedoch ein Sozialist zu werden. Mit dem Dalai Lama als seinem Schutzherrn hatte er keinen Grund zu befürchten, daß so etwas jenseits der Möglichkeiten eines Tibeter liege".

Sogar noch in greisen Jahren machte Amdo Jampa jeden Tag seine kora (religiöse Umwandlung) um Lhasa. Er hinterläßt seine Frau und eine große Familie. Sein Jüngstes wurde geboren, als er bereits in den Achtzigern war.

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